Stadtwohnen. Zurück in die Stadt!
Meine erste Wohnung
Im Jahr 1958 kam ich erstmals nach Leipzig. Kurz zuvor hatte ich an der ehemaligen Karl-Marx-Universität einen Studienplatz erhalten und war froh, nun endlich bei meinen Eltern ausziehen zu können. Vom Wohnungsamt bekam ich einen Schein zur Besichtigung eines sogenannten „Untermietwohnrechts“ in der Wettiner Straße. Erwartungsvoll machte ich mich auf dem Weg, vorbei an 100 Jahre alten Häusern, deren einstige Pracht ich nur noch erahnen konnte.
Die Wohnung befand sich im ersten Stock. Eine große Flügeltür mit Glaselementen zierte den Eingangsbereich. An dieser befanden sich insgesamt vier Namensschilder und zwei Klingeln. Noch ehe ich die letzte Stufe genommen hatte, öffnete eine alte Dame die hälftige Tür und bat mich hinein. Die Wohnung besaß alten Stuck, hatte hohe Fenster und war mit knarrendem Parkett und einer Duschkabine ausgestattet, die in der Küche rechts neben dem Fenster stand. Zu vergeben waren zwei Zimmer. Eines mit Blick auf die benachbarte, bröckelnde Hauswand; das andere mit Aussicht auf den schönen grauen Innenhof. Beide Zimmer lagen jeweils zwischen denen der beiden Hauptmieter.
Zusätzlich wurde mir eine eigene Ecke in der Gemeinschaftsküche zugeordnet. Den Gasherd durfte ich für eine Mark fünfzig im Monat mit nutzen. Gleich neben dem Eingang befanden sich Bad und Toilette in jeweils getrennten Räumen. Gemäß Nutzungsordnung durfte wochentags nur in der Zeit zwischen 17 und 18 Uhr gebadet werden. Die Wohnung wurde durch einen rheinischen Herd zentralbeheizt. In allen Zimmern sah man noch die verschnörkelten Heizkörper, die in besseren Zeiten über eine Kohleheizungsanlage im Keller des Hauses gespeist wurden.
Inmitten des großzügigen Flures befand sich eine Tür aus Spanplatten. Diese war in Heimarbeit gezimmert und grenzte den hinteren Teil der Unterkunft ab. Insgesamt waren meine vier Wände lediglich ein kleiner Teil einer noch viel größeren Wohnung, in die sich vier Mieter eine gesamte Wohnetage teilten. Das amtliche Wort für diese Nutzungsart hieß "Teilhauptmiete". Als Lenkungsmaßnahmen der DDR-Wohnungswirtschaft wurden so gezielt große Altbauwohnungen für Wohnungssuchende erschlossen.
Drei Jahre nach meinem Einzug heiratete ich und sicherte mir damit den Anspruch auf ein weiteres Zimmer. Erst mit der Geburt unseres Kindes konnte ich unter Vorlage des sogenannten „Aufgebotsscheines“ eine eigene Wohnung beantragen. Nach sechs Jahren Untermiete zog ich mit meiner Frau in unsere erste gemeinsame Wohnung in die Waldstraße. Sie bestand aus drei Zimmern und war ausgestattet mit Küche, Außentoilette und einem Berliner Ofen. Mit dem Begriff "Teilhauptmiete" können meine Enkel heute nichts mehr anfangen.